Die verlorenen Kinder
So roth wie Blut
Grusical von Tatjana Rese
Musik Erich A.Radke
Uraufführung 13. September 2008
Theater der Jungen Welt Leipzig
Dort, wo der Wald am dunkelsten ist, wo Stimmen geheimnisvoll flüstern und seufzen, wo die schwarze Frau ihr Unwesen treibt, dort irren die verlorenen Kinder umher. Ihre Lebensgeschichten, die sie hierher getrieben haben, sind der Stoff, aus dem Alpträume sind. Alle haben den Ort verlassen, der ihnen Sicherheit und Geborgenheit geben sollte, und sich doch als Zentrum des Schreckens entpuppte: die eigene Familie. Da wird gemordet und geschändet, da feiern Eifersucht und Gier, dass es eine schaurigschöne Lust ist.
Märchen, weiß man, sind nie Geschichten von einer heilen Welt. Und diese Erkenntnis hat Tatjana Rese, in Personalunion Autorin und Regisseurin des Grusicals „So roth wie Blut", auf den düsteren Punkt gebracht. Ohne dem Ganzen den Zauber zu nehmen - oder gar die Hoffnung, dass am Ende doch das Gute siegt. So dass schließlich die Hexe im Ofen schmort, alle sich gekriegt haben und Frau Holle dazu weiße Federn regnen lässt. So klingt, jedenfalls für einen wunderbaren Moment, das traurige Lied vom Machandelbaum überaus tröstlich. „Kiwitt, kiwitt! Was für‘n schöner Vogel bin ich", singen alle. Da sind die aufmüpfigen Rockrhythmen des kleinen Orchesters der Musikschule „Johann Sebastian Bach" wie die herzergreifend singende Säge verklungen; das Finale plädiert für reine Harmonie, nur einen winzigen Hauch ironisch.
Tatjana Rese liefert dazu einen schillernd einladenden Kontext aus intensiver Beschäftigung mit den uralten Mythen. Doch das hat ihr den leichtfüßigen Zugang nicht verstellt, und den Blick auf die fast immer mögliche Versöhnung. Vorher herrscht das wilde Grauen, rollen Köpfe, wird gelogen, betrogen, verstoßen, gejagt. Und gerettet und gerächt. Denn auch die Glücklichen sind grausam: Dass die schwarze Frau im Ofen brennen soll, findet keinen Widerspruch. Natürlich auch unter den Teenies im Saal nicht.